Das Belebtschlammverfahren ist ein weit verbreitetes biologisches Verfahren zur Reinigung von Abwasser. Es basiert auf der Verwendung von aeroben Mikroorganismen, die organische Verbindungen im Abwasser abbauen. Dabei handelt es sich um ein suspendiertes Wachstumsverfahren, bei dem die Mikroorganismen in Form von Flocken – dem sogenannten Belebtschlamm – im Abwasser schweben und die darin enthaltenen organischen Stoffe als Nährstoffe nutzen. Dieses Verfahren wird weltweit in kommunalen Kläranlagen sowie in der industriellen Abwasserbehandlung eingesetzt, insbesondere in Branchen mit hohem organischem Verschmutzungsgrad, wie z.B. in der Lebensmittelindustrie, chemischen Industrie und Papierproduktion.
Inhaltsverzeichnis
Technische Hintergründe
Im Belebtschlammverfahren durchlaufen die Mikroorganismen mehrere biologische Prozesse, um die im Abwasser enthaltenen Verunreinigungen abzubauen. Die wichtigsten technischen Parameter und Prozesse sind:
Belüftung: Der aerobe Charakter des Verfahrens erfordert eine kontinuierliche Zufuhr von Sauerstoff, um die biologische Aktivität der Mikroorganismen aufrechtzuerhalten. Dies erfolgt meist durch mechanische Belüftungseinrichtungen wie Tauchbelüfter oder Belüftungslanzen. Der Sauerstoff fördert das Wachstum der Mikroorganismen, die organische Stoffe in Kohlendioxid (CO₂) und Wasser umwandeln.
Nährstoffabbau: Die Mikroorganismen nutzen die Kohlenstoffverbindungen im Abwasser als Nahrungsquelle. Diese Verbindungen werden abgebaut und in Energie und Zellmasse umgewandelt. Neben Kohlenstoff werden im Belebtschlammverfahren auch Stickstoff (über Nitrifikation und Denitrifikation) und Phosphor eliminiert, was besonders bei der Behandlung von Abwasser mit hohen Nährstoffkonzentrationen wichtig ist.
Schlammrückführung: Ein entscheidender Bestandteil des Verfahrens ist die Schlammrückführung. Der Belebtschlamm wird nach der Abtrennung im Nachklärbecken zu einem Teil in das Belebungsbecken zurückgeführt, um eine stabile Population von Mikroorganismen aufrechtzuerhalten. Der nicht rückgeführte Teil wird als Überschussschlamm bezeichnet und muss in der Regel entwässert und entsorgt oder weiterbehandelt werden.
Belebtschlammalter: Ein wichtiger Parameter ist das Schlammalter, das das Verhältnis der Biomasse im System zur täglichen Biomasseproduktion beschreibt. Das Schlammalter beeinflusst die Art der Mikroorganismen, die im System wachsen, und damit die Reinigungsleistung. Höheres Schlammalter begünstigt z.B. den Abbau schwer abbaubarer Verbindungen.
Hydraulische Verweilzeit: Die hydraulische Verweilzeit beschreibt die Dauer, die das Abwasser im Belebungsbecken verbleibt. Sie variiert je nach Belastung und Anlagenkonfiguration und liegt typischerweise zwischen 6 und 12 Stunden. Eine zu kurze Verweilzeit kann zu unvollständigem Abbau führen, während eine zu lange Verweilzeit zu erhöhter Biomasseproduktion und potenziellen Betriebskostensteigerungen führt.
Anwendung in der Praxis
Das Belebtschlammverfahren ist flexibel und kann an unterschiedliche Abwasserzusammensetzungen und -belastungen angepasst werden. Es gibt verschiedene Varianten des Verfahrens, die sich durch Modifikationen der Prozessführung unterscheiden:
Konventionelles Belebtschlammverfahren: Das Standardverfahren, bei dem die Abwasserbelastung relativ konstant ist und die gesamte biologische Reinigung in einem einzigen Belebungsbecken erfolgt.
Foto: Klassisches Belebungsbecken (Verfahren: ALMA BHU BIO)
SBR (Sequencing Batch Reactor): Eine Weiterentwicklung, bei der der gesamte Prozess in einem Reaktor abläuft, jedoch in verschiedenen Zeitabschnitten (Zyklen) durchgeführt wird. Der SBR ist besonders für Anlagen geeignet, bei denen die Abwassermenge schwankt oder Platz begrenzt ist.
Kaskadenbelebung: Hierbei wird das Abwasser durch mehrere hintereinander geschaltete Belebungsbecken geführt, was zu einer effizienteren Sauerstoffnutzung und einer besseren Abbaurate führt.
- Denitrifikationsverfahren: In diesem Verfahren wird der Stickstoff im Abwasser in zwei Schritten entfernt: Zunächst wird das Ammonium durch die Mikroorganismen zu Nitrat umgewandelt (Nitrifikation), und anschließend wird das Nitrat in einem sauerstofffreien Bereich durch Denitrifikation in Stickstoffgas (N₂) umgewandelt, das in die Atmosphäre abgegeben wird.
Foto: Belebungsbecken mit Denitrifikation und Nitrifikation für Abwässer aus der Lebensmittelindustrie (Verfahren: ALMA BHU BIO)
Vorteile des Belebtschlammverfahrens
Hohe Reinigungsleistung: Das Belebtschlammverfahren erreicht eine sehr effektive Reduktion von organischen Verbindungen sowie Stickstoff und Phosphor im Abwasser. Dies macht es ideal für Abwässer mit hohen organischen Belastungen.
Anpassungsfähigkeit: Das Verfahren kann flexibel an unterschiedliche Abwasserzusammensetzungen und Belastungen angepasst werden, indem Parameter wie das Schlammalter, die Belüftungsintensität und die Verweilzeit variiert werden.
Weit verbreitete Technologie: Das Belebtschlammverfahren ist weltweit in der Abwasserbehandlung etabliert und gut erforscht. Es gibt umfangreiche Erfahrung und viele Referenzanlagen, wodurch der Betrieb und die Wartung optimiert sind.
Kosteneffizient: Im Vergleich zu anderen fortschrittlichen Technologien ist das Belebtschlammverfahren relativ kostengünstig in der Anschaffung und im Betrieb, vor allem bei großen Abwassermengen.
Herausforderungen des Belebtschlammverfahrens
Empfindlichkeit gegenüber toxischen Stoffen: Das Belebtschlammverfahren kann durch toxische Substanzen oder Schwermetalle im Abwasser beeinträchtigt werden, die die Mikroorganismen schädigen. Daher ist eine Vorklärung oder ein Stoffeintragmanagement bei stark belastetem Abwasser notwendig.
Schlammvolumenindex (SVI): Ein häufiger Betriebsparameter ist der Schlammvolumenindex, der die Fähigkeit des Schlamms beschreibt, sich nach der Belüftung abzusetzen. Ein hoher SVI-Wert weist auf Schlammschwimmen oder Fadenbakterienwachstum hin, was die Trennung von Klärschlamm und gereinigtem Wasser erschwert.
Hohe Sauerstoffzufuhr: Der Sauerstoffbedarf des Belebtschlammverfahrens ist hoch, was zu einem signifikanten Energiebedarf führt. Eine energieeffiziente Belüftung ist daher entscheidend für die Betriebskosten.
- Schlammentsorgung: Die regelmäßige Entsorgung des Überschussschlamms ist notwendig und kann mit zusätzlichen Kosten und logistischen Herausforderungen verbunden sein.
Foto: Belüftungssystem im Belebtschlammbecken des ALMA BHU BIO-Systems
Fazit
Das Belebtschlammverfahren ist eine der wichtigsten Technologien in der industriellen und kommunalen Abwasserbehandlung. Es bietet eine effiziente und flexible Lösung für den Abbau organischer Stoffe und Nährstoffe im Abwasser. Durch den Einsatz von Mikroorganismen im Belebtschlamm können selbst stark belastete Abwässer gereinigt werden, bevor sie weiterbehandelt oder in die Umwelt eingeleitet werden. Trotz einiger Herausforderungen, wie der Sensibilität gegenüber toxischen Stoffen und der Notwendigkeit einer zuverlässigen Sauerstoffzufuhr, bleibt das Belebtschlammverfahren eine wirtschaftliche und erprobte Technologie, die in vielen Branchen weltweit eingesetzt wird.