Die Redoxmessung ist ein essenzielles Analyseverfahren in der industriellen Wasser- und Abwassertechnik, das die elektrochemischen Eigenschaften einer wässrigen Lösung erfasst. Sie dient der Bestimmung des Redoxpotentials, das die Oxidations- und Reduktionsfähigkeit eines Mediums beschreibt. In der Praxis ermöglicht die Redoxmessung die Überwachung, Steuerung und Optimierung chemischer und biologischer Prozesse, die auf Elektronentransferreaktionen beruhen.

Grundlagen der Redoxmessung

Elektrochemische Hintergründe

Das Redoxpotential gibt an, wie stark eine Substanz Elektronen abgeben (oxidieren) oder aufnehmen (reduzieren) kann. Es wird in Millivolt (mV) gemessen und hängt direkt mit der Konzentration der oxidierten und reduzierten Spezies in der Lösung zusammen. Die Redoxmessung basiert auf der Nernst-Gleichung, die das Redoxpotential als Funktion des Standardpotentials und der Konzentrationsverhältnisse der Redoxpaare beschreibt.

Das gemessene Potential ist ein Indikator für das elektrochemische Gleichgewicht zwischen oxidierenden (z. B. Sauerstoff, Chlor) und reduzierenden Substanzen (z. B. Schwefelwasserstoff, Eisen(II)).

Messmethoden und Optimierung in der Praxis

Online-Redoxmessung

In modernen Anlagen werden Online-Redoxmesssysteme eingesetzt, die kontinuierlich Werte erfassen und in Prozessleitsysteme (z. B. SCADA oder DCS) übertragen. Vorteile dieser Systeme:

  • Echtzeitüberwachung und automatische Prozessanpassung.
  • Alarmfunktion bei Abweichungen vom Sollwert.
  • Datenaufzeichnung zur Analyse und Optimierung.
Kalibrierung und Wartung

Für präzise Messungen müssen Redoxelektroden regelmäßig kalibriert und gereinigt werden, da Ablagerungen (z. B. von Flockungsmitteln oder organischen Stoffen) die Sensitivität beeinträchtigen können. Kalibrierlösungen mit bekannten Redoxwerten (z. B. Quinhydron-Puffer) werden verwendet, um die Elektrode auf ihre Genauigkeit zu prüfen.

Technische Komponenten der Redoxmessung

Aufbau einer Redoxelektrode

Die Redoxmessung erfolgt mithilfe eines Elektrodenpaars, bestehend aus:

  1. Messelektrode: Meist aus Platin oder Gold gefertigt, da diese Materialien chemisch inert sind und eine hohe elektrische Leitfähigkeit aufweisen. Die Messelektrode interagiert mit den Redoxpaaren in der Lösung und entwickelt ein Potential, das proportional zum Redoxstatus ist.
  2. Referenzelektrode: Typischerweise eine Silber/Silberchlorid- (Ag/AgCl) oder Kalomelelektrode, die ein stabiles Vergleichspotential liefert.
  3. Messgerät: Wandelt das Differenzpotential zwischen Messelektrode und Referenzelektrode in einen lesbaren Wert um.
Funktionsweise

Das Messprinzip beruht darauf, dass sich auf der Oberfläche der Messelektrode ein elektrochemisches Gleichgewicht zwischen oxidierten und reduzierten Spezies einstellt. Die dabei entstehende elektrische Spannung wird gemessen und als Redoxpotential dargestellt.

Praktische Bedeutung der Redoxmessung in der Wasser- und Abwassertechnik

1. Desinfektion

In der Wasseraufbereitung wird die Redoxspannung häufig zur Überwachung der Desinfektion eingesetzt, insbesondere bei der Verwendung von Chlor, Ozon oder Wasserstoffperoxid. Ein hohes Redoxpotential (z. B. > 650 mV) deutet auf eine ausreichende Oxidationskraft hin, die notwendig ist, um Keime und Pathogene abzutöten.

  • Beispiel Chlor:
    Beim Einsatz von Chlor ist das Redoxpotential ein Indikator für die Desinfektionsleistung. Chlor oxidiert organische Verbindungen und Mikroorganismen, wodurch das Redoxpotential ansteigt.
2. Oxidation von Schadstoffen

Die Redoxspannung wird in der Fenton-Reaktion genutzt, bei der Eisen(II)-Salze und Wasserstoffperoxid reagieren, um Hydroxylradikale (OH·) zu erzeugen. Diese Radikale oxidieren organische Schadstoffe sehr effizient.

  • Typisches Ziel: Abbau von schwer abbaubaren organischen Substanzen (z. B. in pharmazeutischen oder chemischen Abwässern).
3. Fällung und Reduktion von Chrom(VI) zu Chrom(III) mit Natriumbisulfit

Ein spezielles Anwendungsgebiet der Redoxspannung ist die Reduktion von Chrom(VI) zu Chrom(III) in industriellen Abwässern. Chrom(VI) ist ein stark toxisches und krebserregendes Schwermetall, das in vielen Prozessen, etwa in der Metallverarbeitung oder Oberflächenbehandlung, vorkommt. Um die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten, wird Chrom(VI) häufig durch Natriumbisulfit (NaHSO₃) reduziert.

Reaktionsmechanismus:
Natriumbisulfit fungiert als Reduktionsmittel, das Chrom(VI) in einer sauer eingestellten Lösung in die weniger toxische und leichter fällbare Form Chrom(III) überführt.

  • Chromat-Ionen (Cr₂O₇²⁻) werden durch Elektronentransfer in Chrom(III)-Ionen (Cr³⁺) umgewandelt.
  • Protonen (H⁺) aus der sauren Lösung unterstützen die Reduktion.
  • Das entstehende Chrom(III) kann anschließend durch Fällung als Chromhydroxid (Cr(OH)₃) aus dem Wasser entfernt werden.

Redoxpotential-Überwachung:
Die Redoxspannung ist ein zentraler Parameter bei diesem Prozess, da es die Effektivität der Reduktion widerspiegelt:

  • Ein niedriges Redoxpotential (< +200 mV) zeigt an, dass genügend Reduktionsmittel vorhanden ist und die Reaktion in Richtung Chrom(III) verläuft.
  • Steigende Redoxwerte deuten darauf hin, dass die Reduktion unvollständig ist oder eine Nachdosierung von Natriumbisulfit erforderlich wird.

Praktische Umsetzung:
In der Praxis erfolgt die Dosierung von Natriumbisulfit in einem Sauerstoff-freien, stark sauren Milieu (pH 2–3), um eine effiziente und vollständige Reduktion sicherzustellen. Das entstehende Chrom(III) wird durch pH-Anhebung auf 7–9 als unlösliches Chromhydroxid ausgefällt und kann über Sedimentation oder Filtration entfernt werden.

Dieses Verfahren kombiniert Chemikaliendosierung, Redoxpotential-Monitoring und Fällungsprozesse und gewährleistet eine sichere und regelkonforme Abwasserbehandlung.

4. Biologische Abwasserbehandlung

Die Redoxspannung ist ein wichtiger Parameter in der biologischen Abwasserbehandlung, da es die Aktivität von Mikroorganismen widerspiegelt:

  • Aerobe Prozesse: Hohe Redoxwerte (> 200 mV).
  • Anaerobe Prozesse: Niedrige Redoxwerte (< -200 mV).

Ein gezieltes Monitoring der Redoxspannung hilft dabei, die Prozesse zu optimieren und das System vor unerwünschten biologischen Reaktionen (z. B. Sulfat-Reduktion oder Methanbildung) zu schützen.

CP-Anlage zur Fällung und Flockung von Schwermetallen, AOX und Kohlenwasserstoffen von ALMAWATECH.

Foto: Unsere CP-Anlage ALMA CHEM MCW mit Natriumbisulfit-Dosierung zur Reduktion von Chrom VI

Einflussfaktoren auf die Redoxspannung

Konzentration der Redoxpaare

Eine Veränderung in der Konzentration der oxidierten oder reduzierten Spezies führt zu einer Verschiebung der Redoxspannung. Eine Erhöhung der Konzentration des Oxidationsmittels (z. B. Ozon) erhöht den Wert.

pH-Wert

Da viele Redoxreaktionen von Protonen (H⁺) abhängen, beeinflusst der pH-Wert die Redoxspannung. Beispielsweise verschiebt ein alkalisches Medium die Oxidationsreaktionen von Sauerstoff.

Temperatur

Mit steigender Temperatur nimmt die kinetische Energie der Moleküle zu, was die Reaktionsgeschwindigkeit und somit die Redoxspannung erhöht.

Anwesenheit von Störstoffen

Gelöste organische Stoffe oder Salze können die Redoxreaktionen beeinflussen, indem sie entweder selbst oxidiert/reduziert werden oder Nebenreaktionen auslösen.

Messung und Steuerung in der Praxis

In industriellen Anlagen erfolgt die Messung der Redoxspannung häufig online mit robusten Elektroden, die direkt in die Prozessströme integriert sind. Die Messwerte dienen als Grundlage für die automatisierte Steuerung chemischer Dosierungen und Prozesse. Beispiele:

  • Dosierung von Oxidationsmitteln: Optimale Chlor- oder Ozonzugabe zur Desinfektion.
  • Überwachung anaerober Reaktoren: Sicherstellung stabiler Prozessbedingungen durch Überwachung des Redoxniveaus.
  • Korrosionsschutz in Kühlkreisläufen: Vermeidung korrosiver Bedingungen durch Kontrolle der Redoxspannung.

Fazit

Die Redoxmessung ist eine wichtiges Instrument der Wasser- und Abwasserbehandlung, da sie zuverlässige Informationen über die Oxidations- und Reduktionsvorgänge in einem System liefert. Ob zur Überwachung von Desinfektionsprozessen, zur Steuerung von Schwermetallreduktionen oder zur Optimierung biologischer Reaktoren – die präzise Erfassung und Regelung des Redoxpotentials ist entscheidend für die Effizienz und Zuverlässigkeit moderner Anlagen. Ein fundiertes Verständnis der Redoxmessung und ihrer Einflussfaktoren ermöglicht es Betreibern und Ingenieuren, Prozesse stabil und ressourcenschonend zu gestalten.

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